Fairness in der Krise
Im Zeitalter von „Social Distancing“ ist das Thema „Optikergeschäfte sind geöffnet und verkaufen Brillen“ gerade ziemlich umstritten. Denn wenn man als Augenoptiker macht, was man gesetzlich darf (im Gegensatz zu vielen anderen Branchen, die es nicht dürfen), kann es durchaus passieren, dass es irgendwann heisst: „Schaut Euch die Optiker an: Ihre Brillen sind eh schon schweineteuer – und während Deutschland stillsteht und man weder Klamotten noch Handies shoppen kann, sind sie gierig, nutzen die Lücke aus und verkaufen ihre teuren Brillen!“
Andere Branchen wurden dieser Tage komplett stillgelegt; Friseure zum Beispiel: Die können kein „social distancing“ in Form von zwei Metern Abstand einhalten. Als Augenoptiker kommt man seinen Kunden bei Refraktion und Kontaktlinsen-Anpassung aber mindestens genauso nahe. Was ist bei einem Optiker besser oder hamloser als bei einem Friseur?
Auch wenn keine unmittelbaren Strafen drohen und es verlockend sein kann, auf diese Weise Umsatz mitzunehmen (vielleicht sogar bei Kunden von ungeliebten Mitbewerbern): Tun Sie es nicht! Seien Sie solidarisch! Verstecken Sie sich moralisch nicht hinter dem Arzt oder Feuerwehrmann, die angeblich nicht operieren und nicht löschen können, wenn Sie sie nicht heldenhaft mit neuen Brillen versorgen. Denn auch die sind nicht über Nacht fehlsichtig geworden; die haben Brillen und Kontaktlinsen. Kontaktlinsen kann man ausserdem auch verschicken, und Neuanpassungen können warten.
Jeder vernünftige Kunde wird Verständnis dafür haben, wenn Sie an der Ladentür und auf Ihrer Website ankündigen, bis auf Weiteres nur eine augenoptische Notversorgung anzubieten. Natürlich muss es die Möglichkeit geben, Brillen in echten Notfällen zu reparieren oder einfachen Ersatz anzufertigen. Aber dafür braucht es nicht die gesamte Klaviatur mit Refraktion und Stilberatung.
Der „Optik-Mutmacher“ hat einen praktikablen Vorschlag: Refraktionen braucht man derzeit nicht; man kann auch mit den vorhandenen Werten aus Kartei, Brillenpass oder alter Brille arbeiten. Bieten Sie für echte Notfälle eine Versorgung mit einfachen Brillengläsern an, die nach der Krise bei Ihnen in hochwertige Gläser umgetauscht werden können. Der Preis der „provisorischen Gläser“ wird dann auf den Preis der neuen Gläser angerechnet; so bleiben Ihnen diese Kunden auch erhalten. Reden Sie mit Ihren Glaslieferanten; die sind für solche Vorschläge sicher empfänglich.
Und wenn das alles vorbei ist und wieder Normalität einkehrt: Gehen Sie mit den lokalen Kollegen mal ein Bier trinken und feiern Sie gemeinsam, dass der Berufsalltag zurück und die grösste Herausforderung Ihres Berufslebens überwunden ist.
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